Empowerment - Potenziale nutzen

Empowerment.de - Potenziale nutzen

Grundlagentext Empowerment (Einführung)

Gliederung:

Definition

„Neue Stärken entdecken“, „Ressourcen aktivieren“, „personale und soziale Kompetenzen (weiter-)entwickeln“ – Stichworte wie diese verweisen auf ein Handlungskonzept, das in den letzten Jahren zum Fixstern am Himmel der psychosozialen Arbeit avanciert ist: das Empowerment-Konzept. Ursprünglich eine Importware aus dem Bereich der Bürgerrechtsbewegung, der Sozialen Bewegungen und der gemeindebezogenen psychosozialen Arbeit der USA ist dieses Konzept heute konstitutives Element der professionellen Identität der Sozialen Arbeit. Der Begriff Empowerment (wörtlich übersetzt: „Selbstbefähigung“, „Selbstbemächtigung“, „Stärkung von Eigenmacht und Autonomie“) bezeichnet biografische Prozesse, in denen Men­schen ein Stück mehr Autonomie und Lebenssouveränität für sich gewinnen. Empowerment beschreibt Mut machende Prozesse der Selbstbemächtigung, in denen Menschen in Situa­tionen des Mangels, der Benachteiligung oder der gesell­schaftli­chen Ausgrenzung beginnen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu neh­men, in denen sie sich ihrer Fä­hig­keiten bewusst werden, eigene Kräfte entwickeln und ihre Ressourcen zu einer selbstbe­stimmten Le­bensführung nutzen ler­nen. Empowerment – auf eine kurze Formel gebracht – zielt auf die (Wieder-)Herstel­lung von Selbst­bestim­mung über die Um­stände des ei­ge­nen Lebens. In der Literatur werden zwei Varianten von Empowerment unterschieden:

Politisches Empowerment: Empowerment – mit politischem Vorzeichen buchstabiert - thematisiert die strukturell un­gleiche Vertei­lung von politischer Macht und Einflussnahme. E. bezeichnet hier einen kon­flikthaf­ten Prozess der Um­ver­teilung von politischer Macht, in dessen Ver­lauf Men­schen oder Gruppen von Men­schen aus einer Position relativer Machtunterlegen­heit aus­treten und sich ein Mehr an demokratischem Partizipationsvermögen und politischer Entscheidungsmacht aneig­nen. Dieser politischen Defini­tio­n eignet das Bild ei­nes Auf­bruches: Men­schen verlassen das Gehäuse der Abhängigkeit und der Bevormundung. Sie be­freien sich in eige­ner Kraftaus einer Position der Ohn­macht und Abhängig­keit, besetzen die Bühne der politischen Öffentlichkeit und erstreiten in kollektiver Selbstorganisation ein Mehr an Selbstbe­stimmung, Autonomie und Lebens­regie. Empowerment bezeichnet damit einen selbstinitiierten kollektiven Pro­zess der Herstellung von politischer Lebenssou­veränität. Diese politische Begrifflichkeit findet sich vor allem im Kon­text von Sozialen Bewegungen, Selbsthilfe­organisa­tionen und zivilgesellschaftlichen Pro­jekten.

Psychologisches Empowerment: Empowerment im psychologischen Wortsinn beschreibt einen Prozess, in dem Menschen auch in Zeiten der Belastung die psychische Kraft gewinnen, ein gelingendes Alltagsmanagement zu realisieren. Diese le­bens­weltbezogene Definition stellt eine gelingende Mikropolitik des All­tags in ihren Mittel­punkt und thematisiert das Vermögen von Indivi­duen, in der Textur ihrer All­tagsbe­ziehungen eine autonome Lebensform in Selbst­organisation zu leben. Verwen­dung findet dieser alltagsbezogene Be­griff vor allem in der Rezeption des Empowerment-Konzeptes durch Soziale Ar­beit und psychosoziale Praxis (zur Begrifflichkeit und Geschichte vgl. Herriger 2020).

Normative Rahmung: Menschenbild und Wertebasis

Empowerment ist ein „werthaltiges Konzept“ – es ist eingespannt in einen Rahmen von handlungsleitenden normativen Überzeugungen (ich habe diesen Werterahmen in verschiede­nen Veröffentlichungen als „die Philosophie der Menschenstärken“ – „the strengths model“ beschrieben). Die Debatte zusammenfassend können wir hier folgende Grundüberzeugungen unterscheiden, die das Empowerment–Konzept, sein Menschenbild und sein methodisches Handeln anleiten:

(1) Ressourcenfokus: Der Ausgangspunkt des Empowerment–Konzeptes ist eine deutliche Kritik an dem tradierten Klientenbild, welches die Dienste und Einrichtungen der psycho­sozialen Hilfe anleitet. Dieses Kli­entenbild ist vielfach bis heute von einem Defi­zit–Blick auf den Menschen ge­prägt. Dies bedeutet: Die Menschen, die psychosozi­ale Dienstleistungen nachfragen, ihre Lebenserfahrungen und biografischen Geschichten werden nur allzu oft al­lein in Katego­rien von Defizit, Mangel und Un­genügen wahrgenom­men. Die Folge dieses Defizit–Blicks aber ist, dass die vor­han­denen Le­bensfä­higkeiten der Menschen, denen wir in der psychosozialen Arbeit begegnen, ihre pro­duktiven Ressourcen von Le­bensbewälti­gung aus dem Blick geraten. Das Empowerment-Konzept nun bricht mit diesem Blick auf die Schwä­chen und Ab­hän­gigkeiten – es vertraut auf die Talente, die Fähigkeiten und die Stärken seiner Klienten. Leitfaden ist ihm die Bekräftigung jener Ressourcen, die es Menschen möglich machen, ihr Leben auch in kritischen Lebenslagen und in biographischen Belastungen erfolgreich zu meistern.

(2) Autonome Lebensgestaltung und Agency: Empowerment formuliert ein optimistisches Menschenbild. Allen Empowerment–Gedanken gemeinsam ist die Konstruktion einer Subjektivität, die die Kraft findet, für sich und für andere „ein besseres Leben“ zu erstreiten. Der Empowerment–Diskurs greift mit diesem Reden von einem besseren Le­ben Vorstellungsbilder und Argumentationsmuster auf, die in der aktuellen De­batte mit dem Begriff „agency“ verknüpft sind. Agency kann hier verstanden werden als die subjektive Erfah­rung von „Hand­lungsmächtigkeit“, welche die Akteure befähigt, mit sozialen Herausforderun­gen, Konflikten, belastenden Lebenslagen gelingend umzugehen und ihre per­sonale Agenda zu verwirklichen (Bethmann u.a. 2012). Agency zeichnet die Menschen also als handlungsfähige und gestaltende Akteure, die auch in Strukturen sozialer Ungleichheit und Machtbindung in der Lage sind, sich eigensinnig mit machtbestimmten Zwängen auseinanderzusetzen, eigene Vorstellungen über ihre Lebensbedingun­gen, Bedürfnisse und Inte­ressen zu entwickeln und Möglichkeitsräume für eine autonome Lebensgestaltung zu öffnen.

(3) Das Eintreten für Selbstbestimmung und soziale Gerechtigkeit: Ein letzter Grundwert thematisiert die politischen Horizonte des Empowerment-Konzeptes: Menschen haben ein Recht auf Eigen-Sinn, Differenz und Diversität. Sie haben das Recht, diese Eigen-Sinnigkeit (dort, wo sie die Freiheit der anderen nicht gefährdet und verletzt) auch gegen den Mainstream gesellschaftlicher Normalitätsstandards zu behaupten und zu leben. E. ist in diesem Sinne getragen vom Glauben an das unveräußerliche Recht der Adressaten auf Selbstbestimmung und Autonomie („ein streitbares advokatorisches Engagement“). Dieses Konzept ist zugleich einem sozialaufklärerischen Pro­gramm ver­pflich­tet. Ziel ist es, Men­schen ein kriti­sches Bewusst­sein für die Web­muster der sozial ungleichen Verteilung von Le­bensgü­tern und gesellschaftli­chen Chancen zu vermit­teln, ihr analytisches Wissen um die Verän­derbar­keit dieser übermächtig erscheinen­den Strukturmu­ster zu festigen und sowohl im mikrosozialen Kos­mos ihrer alltägli­chen Lebenswirklichkeit als auch im makrosozialen Kos­mos der politischen Selbst­vertretung zu sozialer Aktion anzustiften.

„Sharing Power“: Der sensible Umgang mit der Expertenmacht

Eine psychosoziale Praxis, die diesen Grundüberzeugungen folgt, nimmt Abschied von der Expertenmacht. Denn: Vertrauen in die Selbstgestal­tungskräfte der Menschen und ihre Lebens­souveränität bedeutet immer auch einen Verzicht auf vor­schnelle Expertenur­teile über die Standards des ‚richtigen Lebens‘, bedeutet eine sensible Eingrenzung der beratenden und therapeutischen Macht. Gefordert ist hier eine signifikante Veränderung der Machtbalance in der helfenden Beziehung („sharing power“). An die Stelle des si­cheren Expertenurteils (d.h. der professionellen Unter­stel­lung, „sicher zu wissen, wessen der andere bedarf“) tritt mehr und mehr das of­fene und machtgleiche Aus­handeln von Lebensper­spektiven. Obwohl Muster struktureller Macht in die institutionelle Arbeitsbeziehung unlösbar eingelassen sind - Ziel einer neuen Professionalität ist die Konstruktion einer (weitgehend) symmetrischen Arbeitsbeziehung („Kooperation auf Augenhöhe“), die auf die Attribute einer bevormundenden Fürsorglichkeit verzichtet und sich auf einen Beziehungsmodus des partnerschaftlichen Aushandelns einlässt.

Methodenkoffer - die Ebene individueller Ressourcenstärkung: Im Fokus der methodischen Aufmerksamkeit steht hier – auf der Ebene der sozialen Einzelfallhilfe – die Ressourcenförderung. Die pädagogische Begleitung zielt auf eine Erweiterung der Ressourcenhaushalte der Adressaten. Zum Einsatz kommen hier verschiedene Methoden einer ressourcenstärkenden Sozialen Arbeit:

Motivierende Gesprächsführung: eine Form der Gesprächsführung, die gerade bei entmutigten Klientinnen und Klienten einen „Motivationsfunken“ zur Veränderung einer bestehenden belastenden Lebenssituation zünden soll (Miller/Rollnick 2015).

Ressourcendiagnostik: die präzise Diagnose der verfügbaren und förderbaren (personalen und sozialen) Ressourcen der Ratsuchenden (Herriger 2020).

Ressourcenorientierte Beratung und stärkenorientiertes Case Management: die Erweiterung der Ressourcenkompetenz der Betroffenen und die systematische Ver­netzung der Unterstützungsressourcen unterschiedlicher Träger durch Me­tho­den des Un­terstützungsma­nagements (Lenz 2011; Ehlers/Müller/Schuster 2017).

Biografiearbeit: der biografische Dialog, dessen Ziel es ist, lebensgeschichtlich verschüt­tete Bewältigungsres­sourcen der Kli­enten zu entdecken und in der Jetzt-Zeit erneut zu aktivieren (Herriger 2020; Hölzle/Jansen 2011).

Methodenkoffer - die Ebene kollektiver Selbstbemächtigung: Auf der Ebene von Sozialraum und politischer Öffentlichkeit zielt Empowerment auf die Mobilisierung von kollektiven Ressourcen der Umweltgestaltung. E. meint hier: die Menschen ‚vor Ort‘ in ihrer je konkreten sozialräumlichen Lebenswirklichkeit ermutigen und befähigen, ihre Stimme zu erheben, ihre (raum- und alltagsbezogenen) Bedürfnisse zu artikulieren und die kollektiven Stärken zur Gestaltung lebenswerter Lebensverhältnisse zu bündeln. Das methodische Handwerk zielt hier auf den Aufbau und die stärkende Begleitung von Unterstüt­zungsnetz­werken, in denen Menschen mit gleich­artigen Betroffen­heiten ein solidarisches zivilgesellschaftliches Engagement ausüben und Aktivposten einer strittigen Öffentlichkeit werden (Netzwerkarbeit mit inszenierten Gemeinschaften; Förderung von Selbsthilfe und bürgerschaftlicher Selbstorganisation; parteiliche Kooperation mit Sozialen Bewegungen; Herrmann 2019).

Evaluation

Empowerment–geleitete Prozesse der Förderung von Handlungsmächtigkeit hinterlassen psychische und politische Spuren: Die empirischen Befunde der Evaluationsforschung dokumentieren eindrücklich die stärkend-produktiven Effekte von ressourcenfördernden Arbeitsansätzen. E. bestärkt zum einen das Selbstbewusstsein und die soziale Identität der Klienten. Dort, wo die Adressaten die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Autonomie und Gestaltungskraft machen können, erweitern sich ihre psy­chi­schen Kräfte – sie stärken ihre personalen Ressourcen, sie schöpfen Selbstwert und gewinnen ein neues Vertrauen in die eigenen Bewältigungsfähigkeiten. Empowerment bestärkt die Menschen zum anderen aber auch in ihrer Rolle als politische Bürger – es stärkt die Teilhabe der Bürger an oftmals strittigen Prozes­sen der politischen Willens­bil­dung, es unterstützt ihr solidarisches Eintreten für „common goods“ und vermehrt auf diese Weise ihr produktives Kapital an zivilgesellschaftlicher Kompetenz.

Literatur

Adams, R. (2008): Empowerment, participation and social work. 4. Aufl., Basingstoke;

Bethmann, S. u.a. (Hrsg.) (2012): Agency. Qualitative Rekonstruktionen und gesellschaftstheoretische Bezüge von Handlungsmächtigkeit. Weinheim;

Ehlers, C./Müller, M./Schuster, F. (2017): Stärkenorientiertes Case Management. Opladen/Berlin/Toronto;

Herriger, N. (2014):  Empowerment-Landkarte. Diskurse, normative Rahmung, Kritik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte APuZ, Heft 13-14/2014, S. 39-46;

Herriger, N. (2020): Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung, 6. Aufl., Stuttgart;

Herriger, N. (2019): Internet-Portal www.empowerment.de;

Herrmann, H. (2019): Soziale Arbeit im Sozialraum. Stadtsoziologische Zugänge. Stuttgart;

Hölzle, C./Jansen, I. (Hrsg.) (2011): Ressourcenorientierte Biografiearbeit. Grundlagen – Zielgruppen - Kreative Methoden. 2. Aufl., Wiesbaden;

Lenz, A. (Hrsg.) (2011): Empowerment. Handbuch für die ressourcenorientierte Praxis. Tübingen;

Miller, W.R./Rollnick, S. (2015): Motivierende Gesprächsführung. Motivational Interviewing. 3. Aufl., Freiburg i.B.